"Wer hat uns verraten ..."

Die Sozialdemokratie in der Novemberrevolution

Richard Wiegand

Diese ausgezeichnete, prägnante Darstellung der verhängnisvollen Rolle der SPD in der Novemberrevolution 1918/1919 war in besseren, da aufgeklärteren Zeiten unter Schülern und Studenten verbreitet und verdient es, der Vergessenheit entrissen und vor allem gelesen zu werden. Die Dokumentation von Richard Wiegand läßt die Revolutionskämpfe in Deutschland sowie den umfassenden Verrat der SPD anschaulich werden und belegt, wie die SPD seit Bewilligung der Kriegskredite 1914 zum mit Abstand wertvollsten Instrument der Unterdrückung wurde. Das Buch, das viel seltenes Dokumentationsmaterial enthält, macht die Geschichte der Novemberrevolution durchsichtig und ermöglicht es, die historische Funktion der Sozialdemokratie grundsätzlich zu erfassen – als die politische Pestbeule mindestens des 20. Jahrhunderts, die den Aufstieg von Hitler und Stalin erst ermöglichte.
Daß die Sozialdemokratie natürlich auch nach dem 2. Weltkrieg ihrem Wesen treu geblieben ist, zeigen einige ausgewählte Parteikarrieren aus der Aufbauphase der Nachkriegs-SPD, die Stephan Kindynos aus mehreren Archiven zusammengetragen hat und in einem separaten Dokumentenanhang dem Publikum erstmals zugänglich macht. Die Dokumente zeigen einmal mehr, daß der Verrat nicht eine Entgleisung einiger weniger Sozialdemokraten ist, sondern die Substanz der SPD ausmacht, deren Verständnis erst ihre politische und historische Funktion begreiflich und vor allem berechenbar macht.



Inhalt

  • Vorwort zur Neuauflage von Fritz Erik Hoevels
  • Vorwort
  • Einleitung
    • 1919: »Die fast unblutige Novemberrevolution ...«
    • 1928: »Sie wollten aus Deutschland eine russische Sowjetfiliale machen.«
    • 1929: » ... der elende Haufen, der von jener Zeit übrig geblieben ist und sich Kommunistische Partei nennt ...«
    • 1958: »Ob nun Noskes Antibolschewismus primitiv war oder nicht ...«
    • 1968: »Ich habe das deutliche Empfinden, ... daß vor allem Feinde der Demokratie viel zu zögerlich und zimperlich angegangen worden sind.« (W. Brandt)
  • Abschnitt I
    Die Entwicklung der SPD zu einer Partei des Monopolkapitals
    • 1. Über den Zusammenhang von Imperialismus und Opportunismus
    • 2. Das Erstarken des Opportunismus in der SPD
    • 3. Der 4. August 1914
    • 4. Die Sozialdemokratie während des ersten imperialistischen Weltkrieges
    • 5. Die Novemberrevolution
  • Abschnitt II
    • 1. Die Januarkämpfe 1919
    • 2. Die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht
    • 3. Nationalversammlung oder Rätemacht?
    • 4. Der Generalstreik
    • 5. Der »Lichtenberger Gefangenenmord«
  • Anhang zur Neuauflage von Stephan Kindynos
    Nach dem 2. Weltkrieg: Mord und Verrat feiern fröhliche Urständ. SPD und Gestapo - das bestverschwiegene Geheimnis deutscher Parteiengeschichte
    • Hinrich Wilhelm Kopf – von der Kriegsverbrecherliste direkt auf den Ministerpräsidentenstuhl
    • Herbert Kriedemann – Gestapo-Spitzel und SPD-Vorstandsmitglied
    • Walter Spengemann – SPD-Mitglied und Gestapo-Spitzel
    • Paul Röhle – SPD-Landtagsvizepräsident und »S 18«
    • Das »Ostbüro« der SPD
  • Personenverzeichnis

Auszug aus dem Vorwort zur Neuauflage

1974 erschien im inzwischen gründlich gewandelten »Oberbaum-Verlag« das Buch von Richard Wiegand, welches den dramatischsten und folgenreichsten Verrat in der Geschichte des neuzeitlichen Europa zum Gegenstand nahm: die Verhinderung der sozialistischen Revolution in Deutschland, kulminierend in der Ermordung von etwa 6000 aufständischen Arbeitern im Raum Berlin und im Ruhrgebiet sowie deren jahrzehntelang bewährten bekanntesten Führern Liebknecht und Luxemburg, dadurch, und nur dadurch, die Ermöglichung der Hitlerei, die einerseits selber ungezählte Greuel beging, andererseits durch ihr militärisches Vabanque-Spiel die US-amerikanische Weltherrschaft (»Neue Weltordnung«, sagt der Zyniker) und damit die wohl endgültige Weltherrschaft des Monopolkapitals herbeiführte. Ohne deutsche Konterrevolution kein Hitler, ohne SPD keine deutsche Konterrevolution: die SPD ist die scheußlichste Erscheinung der ganzen Weltgeschichte. Ohne die Verbrechen Eberts und seiner Wasserträger und Mitlügner hätte die Welt den Umtrieben des kleinen Schreiers und erfolglosen Postkartenmalers aus Braunau äußerst gelassen begegnen können, hätte mit Sicherheit sogar nie das geringste von ihm bemerkt; denn kein Kapital hätte ihn finanziert, keine Presse ihn joschkahaft hochgejubelt, keine Justiz – man denke zuallererst an den verharmlosend so getauften »Bierkellerputsch« – ihn gedeckt und geschont und seine Kritiker gejagt und geschunden. Kurzum: den Faschismus, vielleicht sogar den italienischen, auf jeden Fall jedoch auch den spanischen, hätte es nie gegeben, möglicherweise nicht einmal den Stalinismus, denn dieser war zumindest auf sehr weite Strecken eine entsetzliche Folge der Isolation der schwachen und aus tausend Wunden blutenden Sowjetunion, welche durch eine siegreiche deutsche Revolution nur ganz kurz angehalten hätte. Kurzum: mehr Schuld als Ebert hat noch kein einziger Mensch der ganzen Geschichte auf sich laden können, Hitlers allzu irrational dämonisierte Schuld bildet, da eine, aber nur eine Folge der Ebert-Verbrechen, bloß eine Untermenge davon.
Die Wurzel des Hitler-Regimes liegt in der deutschen Konterrevolution; diese wurde durch den Verrat der SPD ermöglicht, und nur durch diesen. Verrat kann man, wenn man nicht gerade Röhm-Anhänger ist, der NSDAP nicht vorwerfen (Etikettenschwindel, man bedenke allein ihren Namen, schon viel eher); denn sie hat nie von dem Ruf einer gewachsenen Arbeiterpartei gezehrt und diesen dann hemmungslos und ebenso konsequent wie wirksam in den Dienst eines ebenso fanatischen wie wohlorganisierten Antikommunismus gestellt. Wohl hat die SPD letzteren mit der NSDAP gemeinsam, und es ist sehr schwer zu entscheiden, welcher dieser beiden pro-kapitalistischen, aber nicht alt-konservativen Parteien hier die Palme gebührt; vielleicht der SPD, da Hitler, der von diesen mit Recht eine besonders fanatische und unermüdliche Kommunistenjagd erwartete, die sozialdemokratischen Polizeipräsidenten – bei gleichzeitigem Verbot aller Parteien, außer zunächst der verbündeten DNVP und dem superreaktionären »Zentrum«, also auch der SPD – in besonders stark industrialisierten und daher mit relativer KPD-Mehrheit ausgestatteten Großstädten, z.B. Frankfurt/M., noch eine ganze lange Zeit im Amt behielt; aber insgesamt muß dieser Unterschied als gering gewertet werden, da SPD und NSDAP in diesem zentralen Punkt wirklich nur um minimale Zwergwerte zwischen der 99%- und der 100%-Marke wetteiferten. Der entscheidende Unterschied zwischen diesen beiden effizientesten Handlangerparteien der kapitalistischen Rechts- und Wirtschaftsordnung, der stolzen NSDAP und der winselnd-wieselnden, den eingefleischten Knechtsstatus nie überstrebenden SPD bleibt der Verrat als deren tiefstes Wesen, wie er der NSDAP aus historisch-organischen Gründen versagt bleiben mußte, aller ihrer sonstigen Schändlichkeit (deren mit ihren sozialdemokratischen Wegbereitern geteilter Antrieb das war, was die Psychoanalyse Projektion nennt) zum Trotz.
Aus genau diesem Grund wird jetzt das antisemitische Extra im anti-aufklärerisch/anti-kommunistischen Programm der Nazis so einseitig hochgespielt, so ungeschichtlich-verstehensfeindlich dämonisiert und mythisiert; ihr politisches Programm, das allein ihnen die Förderung durch Kapital, Presse und Justiz und dadurch schließlich die Macht eintrug (wie heute den Grünen die Teilhaberschaft am Apparat, den »Krippen der Macht«, wie das ebenso verbittert wie treffend Westerwelle als Funktionär der überflüssig gewordenen FDP nannte), soll dadurch verdeckt werden. In Wirklichkeit bildete auch der nazitypische Antisemitismus, so sehr er sich in Krisensituationen ähnlich verselbständigte wie heute etwa die Sekten-, besonders die Scientologenhetze immer nur eine Facette ihres antikommunistischen Programms (das besagte Nazis ja auch höchst verläßlich erfüllten). Die Schiene zur politischen Nährung des Antisemitismus (im Gegensatz zur gewöhnlichen christlichen) legte zu einem nicht geringen Teil aufgrund deren allgemein bekannter Abstammung – von Jogiches und dem wahrhaft ganz großartigen, auch diesen beiden überlegenen Leviné nicht zu reden – die sozusagen exemplarische Ermordung Rosa Luxemburgs unter der Regie Noskes, Scheidemanns und Eberts. Wer die zeitgenössischen Originalien in Ruhe liest – heutzutage eine schon wieder so anrüchige bis verfolgungsträchtige Tätigkeit wie das Bibellesen im Mittelalter –, kann sich der Erkenntnis schwer verschließen, daß die Ermordung Luxemburgs dem politischen Antisemitismus mindestens so viel Modell, Nutzen und Schuldgefühlsbefreiung geliefert hat wie diejenige Liebknechts dem un-rassistischen Normal-Antikommunismus des moralischen Auswurfs der Menschheit.
Und diese Lektüre der Originalquellen – nicht nur der späteren faschistischen, sondern jener das historische Interesse an diesen erst ermöglichenden sozial»demokratischen« sowie derjenigen ihrer Opfer – ermöglicht in heute selten gewordener Weise das vorliegende Buch von Wiegand; dieser Aspekt ist sicherlich seine Haupttugend. Der hier unzensiert abgedruckten historisch-politischen Analyse des Verfassers muß man gewiß nicht in jedem Punkt folgen, aber wahrscheinlich mehr, als der mir persönlich unbekannte Autor ihr heute möglicherweise selber folgen wird, wenn er noch lebt: also etwa zu 98 %. An gewissen zeittypischen Verkrampftheiten seiner Darstellung braucht man keinen übertriebenen Anstoß zu nehmen; weder ist Verkrampftheit des Stils ein tragbares Argument gegen den Wahrheitsgehalt der durch ihn transportierten Aussage, noch sollen uns diese mit auftragsgemäßer Häme bedachten Kurzatmigkeiten davon ablenken, daß sie gerade in ihrer Mangelhaftigkeit Zeugnisse einer besseren Zeit darstellen, welche gegen die Zeugnisse unserer tausendmal schlechteren Gegenwart durch deren eigene Mängel (die hauptsächlich im vergrinsten Zynismus, prinzipieller Verlogenheit und widerwärtigster Andienerei an die kapitalistisch-monoimperialistischen Etappensieger der Gegenwart bestehen, die keine auch noch so schlechte mit Staatsmacht ausgestattete und dadurch die Gegenseite dämpfende und vor ihrem bremsenlosen Übermut schützende Alternative mehr kennt) gänzlich verblassen. Das macht Wiegands manchmal etwas verbissene, aber immer zutreffende Darstellung dieses historischen Wendepunkts nicht nur ihrerseits zum historischen Zeugnis, sondern auch allen anderen gegenüber, von den Exkrementen der Lehrstühle wie den daraus destillierten Schulbüchern und Medienversionen ganz zu schweigen, zur bei weitem besten, weil zutreffendsten existierenden. Dies gilt auch unter Würdigung des intellektuelleren, aber die Hauptfrage: »Welche Chancen und Alternativen bestanden wirklich?« viel ausweichender und windelweicher behandelnden Buches von Arthur Rosenberg.   [. . .]
Fritz Erik Hoevels

Richard Wiegand:

Pseudonym für einen auch uns unbekannten, zur Zeit des SDS aber vielgelesenen Autors einer sehr guten kommentierten Dokumentation über die konterrevolutionäre Funktion der SPD in der Weimarer Republik, wodurch Hitler erst möglich wurde; er sollte sich bei AHRIMAN melden.



Richard Wiegand
"Wer hat uns verraten ..."
Die Sozialdemokratie in der Novemberrevolution
Mit einem Vorwort von Fritz Erik Hoevels und
zahlreichen ergänzenden Materialien
318 S., mit 43 Originalphotos, 143 Faks., mit Personenregister
EUR 19,-
ISBN: 978-3-89484-812-5
(ISBN-10: 3-89484-812-X)
Erschienen 1999

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